Zwischen geistigen Klimmzügen und Gehirnjogging – Willkommen im Fitnesscenter für europäische Demokratie
„Europa ist nicht leicht, Europa ist mühsam, Europa ist anstrengend. Doch lohnt sich diese Anstrengung im Hinblick auf die europäische Erfolgsgeschichte.“ Mit diesen Worten eröffnete der stellvertretende Regierungssprecher Georg Streiter die Auftaktveranstaltung zum 16. Planspiel „Modell Europa Parlament“ im Bundespresseamt. Willkommen also im Fitnesscenter für Europas Demokratie.
Offiziell bietet der Verein „Modell Europa Parlament Deutschland“ jungen Menschen im Planspiel die Möglichkeit, für eine Woche in die Rolle von EU-Abgeordneten zu schlüpfen und so Europa hautnah zu erleben und mitzugestalten. Vom 22. bis 27. Februar 2015 hatte der Verein Schulgruppen aus jedem Bundesland sowie Gastdelegationen aus Belgien, Luxemburg und Ungarn nach Berlin eingeladen, um über aktuelle Themen der Europäischen Union zu diskutieren.
In Wirklichkeit ist das MEP aber viel mehr. Denn was hier von den 160 jungen potentiellen Politikern an geistigen Klimmzügen und Gehirnjogging vollbracht wird, das trieb ihnen allen den Schweiß auf die Stirn.
„Europa entwickeln heißt Probleme lösen“, so der stellvertretende Regierungssprecher. Er ermunterte die Teilnehmerinnen und Teilnehmer als Vorbilder Europa nicht nur zu erleben, sondern es auch weiterzuentwickeln.
Die jungen Abgeordneten erarbeiten in acht Ausschüssen Resolutionen zu den Themen. Diese besprechen und verabschieden sie dann in Plenumssitzungen. Jede Delegation repräsentiert dabei einen EU-Mitgliedstaat und vertritt dessen Interessen.
Die Schülerinnen und Schüler sollen die schwierige Entscheidungsfindung in einem komplexen System von nationalen und gesamteuropäischen Interessen bewusst kennenlernen. „Nun versteht man auch, warum die Politiker immer so lange für die Verabschiedung von Resolutionen oder Gesetzen brauchen“, erklärt Sarah Haselbeck aus Bayern.
Außerdem konnte sich Yusuf Arif Yücel aus Hamburg nicht vorstellen, dass die Arbeit als Abgeordneter so anstrengend ist. „Es ist sehr anstrengend, aber vor allem macht es Spaß“, pflichtet ihm sein Freund Ben Bosch aus Stuttgart bei.
Ein Höhepunkt war für alle sicherlich die Diskussion mit Bundesverteidigungsministerin von der Leyen. Natürlich wollten die Jugendlichen von ihr wissen, wie sich die EU im Konflikt zwischen der Ukraine und Rußland verhalten soll und warum Waffenlieferungen an die Ukraine für sie nicht in Frage kommen, an die Peschmerga im Kampf gegen den Islamischen Staat im Nordirak dagegen schon. Aber es ging auch um persönliches: Über die Witze der Heute-Show könne sie herzhaft lachen, vor allem, wenn sie selbst betroffen sei. Zudem sei sie überzeugte Europäerin, sie sei sogar zunehmend begeistert von der EU, gerade weil sie so vielfältig sei. Dann dadurch würden sich auch viele Handlungsmöglichkeiten für Europa ergeben.
Im Mittelpunkt des MEP standen aber die Debatten der Jugendlichen zu den acht Ausschussthemen: Dabei sahen die jungen Delegierten nicht nur so aus wie ihre Vorbilder aus dem Europaparlament, sie redeten auch so. So appellierten sie an die Verantwortung als Europäer, zitierten die größten Denker der politischen Theorie wie Goethe, Platon und Rousseau und jonglierten mit Fachbegriffen, als sei dies ihre normale Sprache. So ging es beim Thema Rüstungsexport um „die strikte Kontrolle der Endverbleibserklärung“, beim Syrischen-Bürgerkrieg um die Gründung eines „permanenten Friedensverhandlungsrat“ oder bei der Bekämpfung des Rassismus um die Garantien aus Artikel 21 EU-Grundrechtecharta.
Sie forderten das Wahlalter ab 16 Jahren in der ganzen EU sowie ein gewähltes Europäisches Jugendparlament, erwartet die stärkere Berücksichtigung europäische Interessen bei den TTIP-Verhandlungen mit den USA und plädiert für die Einführung einer Steuer auf Plastiktüten. Nach 16 Stunden Debatte waren allen Beteiligten die körperliche und geistige Erschöpfung anzusehen und die Enthaltungen bei den Abstimmungen nahmen kontinuierlich zu. Viele hätten sich bestimmt gerne bei den beiden letzten Diskussionen zu den Themen EU-Steuerpolitik und TTIP auswechseln lassen.
Die drei jungen Präsidenten zeigen dagegen Duchhaltevermögen. Sie wissen aus Erfahrung, dass das Planspiel zur ganzheitlichen Stärkung der Persönlichkeit beiträgt. Souverän leiten Lena Störck, Arno von Salisch und Akwasi Osei-Dwomok die jungen Abgeordneten bis zum Ende durch die Sitzungen. Dass die drei sich das Amt teilen, erleichtert die Aufgabe, erklärt Arno von Salisch. Allein wäre es auch für sie ohne Pausentee kaum zu schaffen. Einig sind sie sich dabei: „Was hier heranwächst ist eine Generation junger überzeugter Europäer.“
Bei all diesen ernsten Herausforderungen blieb trotzdem noch genug Zeit für Spaß. Dazu gehörte auf jeden Fall der Flashmob auf dem Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor incl. Europahymne. Aber auch die szenischen Darbietungen zu den Themen der Ausschüsse am Sonntagabend im Jugendgästehaus sowie zur Präsentation des zu vertretenden EU-Landes im Bundespresseamt bot Gelegenheit, gemeinsam zu lachen, Kontakte zu knüpfen und von einem besseren Europa zu schwärmen.
Das Projekt ist Teil des sogenannten Strukturierten Dialogs der EU mit der Jugend. Darauf machte die Berliner Staatsseketärin für Jugend Sigrid Klebba aufmerksam. Das bedeutet, dass die MEP-Resolution zum Thema „Jugendpartizipation“ tatsächlich den Weg nach Brüssel in den Rat der Jugendminister nehmen wird. Dies sei eine konkret Chance für die jungen Menschen mitzureden.
Nach der Woche ist klar: Die Aufforderung von Lena Störck in Ihrer Eröffnungsrede an die Delegierten, während des Planspiels mitzudenken, mitzureden und mitzubestimmen, wurde erfüllt. Und sie haben sich alle vom „MEP-Fieber“ anstecken lassen. Zwar wurden nur 3 von 8 Resolutionen angenommen, aber so war das Ergebnis der Simulation noch realistischer. Denn die wahre Politik, egal ob in Bremen, Berlin oder Brüssel, ist auch kein Zuckerschlecken.