Sehnsuchtsort Europa – Unsere Diskussion mit Katarina Barley – Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments
Berlin 11.12.2020:
„An Vieles hier im Europäischen Parlament mußte ich mich erst gewöhnen. Die internationale Atmosphäre ist schon einmalig. Das Bundesjustizministerium vermisse ich aber auch manchmal“. Katarina Barleys Einblicke ins Europäische Parlament stoßen während unserer „Fishbowl-Diskussion“ bei den rund 100 Jugendlichen auf offene Ohren. Erscheint für sie Straßburg doch als Sehnsuchtsort – denn sie dürfen das Europäische Parlament eine Woche lang „nur“ simulieren.
Und so sind die Informationen der EP-Vizepräsidentin aus erster Hand bei den Jugendlichen Kurzzeitpolitikern sehr gefragt. Viele aktuelle Themen werden in den Fragen angeschnitten: von der Transparenz für Lobbyismus über die EU-Erweiterung bis zum Heidelberger Programm der SPD aus dem Jahr 1925, in dem die Partei das erste Mal die Vereinigten Staaten von Europa fordert.
Man merkt schnell, für welche Themen sie wirklich brennt. Ihr Engagement für die Oppositionsbewegung in Belarus bringt sie sehr glaubhaft rüber, setzt sie sich doch als Patin konkret für die politische Gefangene Liliya Ulasava ein. Und auch beim Thema Rechtstaatsmechanismus ist sie kaum zu bremsen. Es sei ein großer Fortschritt, dass die Vergabe von Mitteln aus dem EU-Haushalt künftig an die Einhaltung von Rechtsstaatskriterien geknüpft sei, auch wenn damit rechtspopulistische Politik in einigen Mitgliedstaaten nicht bekämpft werden könne.
Ihr Plädoyer für den Politikerberuf wirkt ebenfalls sehr authentisch. Sie bezeichnet ihn als „wundervoll“. Man habe viel mit Menschen zu tun, sei auf der einen Seite im Parlament spezialisiert, müsse dann aber im Wahlkreis für wirklich alle Themen der BürgerInnen ein offenes Ohr haben. Zudem müsse man sehr hart arbeiten, wenn man es halbwegs gut machen wolle und man müsse sich ein dickes Fell anlegen, denn Shitstorms bekämen sie – die Politiker – alle ab.
Die vielleicht spannendste Antwort liefert Katarina Barley auf die Frage nach ihrem Parlamentskollegen und Satiriker Martin Sonneborn von der Partei „Die Partei“. Als Menschen schätze sie ihn. Er sei spannend, klug und witzig. Als Politiker sei sein Konzept, wirklich alles ins Lächerliche zu ziehen, allerdings unverantwortlich. Ein Satiriker dürfe natürlich jede sich ihm bietende Gelegenheit für Hohn und Spott nutzen. Aber das sei in Zeiten, in denen an vielen Stellen demokratische Werte auf dem Spiel stünden, als politische Strategie brandgefährlich.
Und was sind ihre Tipps für die angehenden Politikerinnen: einfach ins kalte Wasser springen und sich ausprobieren. Dies gelte vor allem für Frauen, die sich oft erst trauen würden, aktiv zu werden, wenn sie sich 100 Prozent sicher fühlen, während bei Männern diese Selbstzweifel gar nicht erst aufkämen. Man müsse aber auf alle Fälle gut vorbereitet sein. Und jeder müsse sein eigenes Gefühl für seine Präsentationen entwickeln. Während z.B. Ursula von der Leyen ihre Reden intensiv vor dem Spiegel üben würde sei sie eher auf Spontaneität geeicht. Das sei zwar manchmal schwierig, aber – wie ihr Mann oft sage – „Ohne Berge komme man nicht nach oben“.
Unser Fazit: Das war eine positive europäische Woche. Während sich in Brüssel die Staats- und Regierungschefs auf den kommenden Siebenjahreshaushalt der EU und den damit verknüpften Rechtstaatsmechanismus verständigen konnten, hatten 100 Jugendliche die Chance, frische europa-politische Luft zu schnuppern und dank Katarina Barley ein Gefühl für Europa zu entwickeln.